Frontpage Slideshow | Copyright © 2006-2011 JoomlaWorks Ltd.

1979: Gasherbrum

Jubiläumsexpedition 1979 zum Gasherbrum II (8.035 m) im Karakorum, Himalaja

von Wolf Weizenböck


Teilnehmer:

Dr. Wolf Weitzenböck (Leiter)
Ernst Schoisswohl
Dr. Alfred Schwab

Zeit: 7. Juni bis 22. August 1979

Ziel: Gasherbrum II, 8.035 m, Pakistan


Summary:

7. 6. Abreise von Ernst nach Rawalpindi, um Genehmigung für früheren Anmarsch zu erhalten.

22. 6. Wolf und Alfred kommen nach.

23. 6.-27. 6. Schwierige Verhandlungen und Behördengänge. Wir schließen uns der Grazer Expedition unter Hans Schell an, die, die Anmarschgenehmigung bereits für Juni besitzt.

28. 6.- 11. 7. Flug nach Skardu und Anmarsch über 200 km zum Basislager am Ende des langen Baltorogietschers.

12. 7.-31. 7. Aufbauarbeit am Berg.

1. 8.- 4. 8. Gipfelsturm mit erfolgreicher Besteigung am 4. 8. um 15.30 Uhr.

5. 8.-19. 8. Abstieg. Rückmarsch und Rückflug von Skardu nach Rawalpindi.

20. 8.-22. 8. Abschließendes Debriefing und Heimflug nach Europa.
 

Auszugsweise Wiedergabe eines Briefes an meine Familie, geschrieben am 31. 7.
 

Hallo, meine Lieben, ich sitze vor unserem Küchenzelt und schreibe heute an Euch. Morgen zieht eine japanische Expedition, die einen anderen Berg belagert (Chogolisa, wo Hermann Buhl abstürzte) nach

Hause, daher können wir Post mitgeben. Also zum Wesentlichen:
 

Wir waren bereits auf ca. 7.000 m, die Lager I, II und III und alle Seilsicherungen (der Berg ist ca. 50 Grad steil) sind errichtet, mussten wegen Schlechtwetter wieder umkehren. Wir saßen dann 6 Tage im Lager I auf 6.100 m und konnten nicht ins Basislager, da es über 1 m schneite. Der Weg vom Basislager (5.200 m) zum Lager I führt durch einen wilden Gletscherbruch. Bei jedem Marsch gibt es Spaltenstürze und Einbrüche, aber wir haben uns schon daran gewöhnt. Das Lager I haben wir in sicherer Entfernung von den steilen Eisflanken errichtet, die die Route bis zum Gipfel vorschreiben, denn Eis- und Schneelawinen poltern Tag und Nacht herunter. Der Gletscherkessel von Lager I hat tagsüber bei Schönwetter +60 Grad Hitze, nachts -20 Grad. Auf 7.000 m im Lager II hatten wir eine Nacht einmal -30 Grad. Trotzdem leben wir alle ganz gut. Ernst fühlt sich nach anfänglichen Akklimisationsschwierigkeiten jetzt recht gut und Alfred ist bereits in Topform. Leider dürfte ihm beim 7.000 m-Aufenthalt im linken Auge eine Ader geplatzt sein, da er einen großen roten Fleck sieht. Hoffentlich passiert oben nichts weiteres. Ich bin jetzt endlich in Form gekommen. Vorher habe ich seit Beginn des Anmarsches bis ins Basislager nicht funktioniert. Bleierne Körpermüdigkeit, dann Verkühlung bei Flußüberquerung mit anschließender Bronchitis. Im Basislager hatte ich anfänglich das Gefühl, ich verwelke. Auch im Lager I einige Zeit elend, doch plötzlich, wie wenn ich einen Kippschalter eingeschaltet hätte, war die Müdigkeit weg, ich konnte besser atmen und kam in Form. Wenn uns nicht das Schlechtwetter blockiert hätte, ich glaube, wir wären schon oben gewesen.
 

Wir haben in Pindi erreicht, daß wir früher als genehmigt, ins Basislager durften, sind daher mit der Grazer Expedition anmarschiert, Hans Schell hatte Gott sei Dank nichts dagegen, und arbeiten auch am Berg zusammen. Die Grazer sind 7, ein Begleitoffizier und ein Diener, daher 12 Leute im Basislager. Am Berg gibt es mehrere Gruppierungen.

Mit dem Schlechtwetter hat sich viel geändert. Während des 14tägigen Anmarsches hat es fast keine Wolke gegeben. Am 9. 7. kamen wir im Basislager an, in den nächsten Tagen suchten wir einen günstigen Weg durch das Gletscherlabyrinth zu Lager I, anschließend versicherten wir die steilen Eisflanken bis 7.500 m, wir teilten uns die Arbeit auf. Dann kam das Schlechtwetter. Es dauerte bis gestern, heute erstmals wieder schön.
 

Die Verzögerung würde mir nichts ausmachen, denn die Akklimatisation ist dadurch sehr gut, wir sind ja bereits 22 Tage im Basislager. Nachteilig ist der viele Neuschnee, wir haben zwar in den letzten Tagen viel gespurt und der Weg ist bis 7.500 m begangen, aber trotzdem sind die Verhältnisse schlecht, etwas lawinengefährlich. Wenn's nochmals viel schneit, ist der Gipfel vorbei. Eine Dreiergruppe ist zur Zeit auf Lager III und bei Wetterglück und Kraft könnte der Sieg morgen gelingen. Wir wollen morgen zum Gipfelangriff blasen und auf Lager I hinauf, am 2. 8. auf Lager II, am 3. 8. auf Lager III und dann am 4. 8. auf den Gipfel. Voraussetzung dafür sind gutes Wetter und entsprechende Tagesverfassung.
 

Das ist auch das Interessante am Höhenbergsteigen, man weiß nie, wie man sich am nächsten Tag fühlt. Bei uns in den Alpen kann man sich einschätzen und weiß, wie man beisammen ist, aber hier ist das ganz anders. Oftmals habe ich, besonders wenn ich mich schlecht fühlte, ans Umkehren gedacht, aber das geht natürlich hier nicht. Wir sitzen hier am Ende der Welt, 14 Tag Fußmarsch, täglich mindestens 10 Stunden, um zum nächsten Telefon, Arzt, Auto zu kommen. Langsam geht uns der Komfort ab, immer nur auf Eis liegen, nur durch eine dünne Matte getrennt. Mir geht eigentlich am meisten die Trennung von Euch ab, alles andere wie Hygiene, Essen, Bier, Sex, Radio, TV kann ich entbehren. Vielleicht noch die Neugierde, was zu Hause los ist, die mich plagt. Gott sei Dank fühle ich mich gut und bin angriffslustig, was vor 10 Tagen noch nicht der Fall war. Meine Bronchitis und der Schnupfen sind zwar noch nicht ausgeheilt, aber ich hab's im Griff. Falls unsere Gipfelattacke in den nächsten Tagen ohne Erfolg bleibt, dann brauchen wir auf alle Fälle wieder 3-4 Tage Rast im Basislager, sodaß erst um den 11. 8. ein weiterer Versuch möglich ist. Ob wir dazu noch die Motivation haben, kann ich jetzt nicht sagen. Jedenfalls brechen wir um den 20. 8. hier ab und marschieren hinaus, es ist aber auch schon früher möglich. Jetzt glaube ich, daß ich so etwas nicht mehr machen werde, weil das Vergnügen am Bergsteigen fehlt. Die Höhe ist immer anstrengend, teilweise fühlt man sich wie im Krankenhaus, die schweren Lasten, die Isolation, also keine besonderen Anreize außer der Gipfelsieg. Interessant ist, daß auch die anderen genauso denken, das zeigen die gemeinsamen Gespräche.
 

Unser bisheriges Resümee sieht also folgendermaßen aus: Nach Ankunft in Rawalpindi gelang es uns in kürzester Zeit, die Genehmigung vorzulegen. Der Flug nach Skardu, normalerweise nicht unter 10 Tagen Wartezeit, innerhalb von 2 Tagen nach Erhalt der Genehmigung. Der Marsch ins Basislager in guten 10 Tagen, die Wegsuche und Seilversicherungen bis 7.500 m in Superzeit. Ab diesem Zeitpunkt stoppte das Wetter den Fortschritt und der Monsun dürfte stark im Gebirge wirksam geworden sein.
 

Morgen wie gesagt starten wir zum Gipfelangriff. Wenn das Wetter besser wird, sind wir am 4. 8. oben. Vielleicht könnt ihr ein bisschen an uns denken, allerdings sind wir schon beim Heimmarsch, wenn Ihr den Brief bekommt. Bitte informiere Peter und Hans-Jörg, sie sollen dann an die Schermbergler weitergeben.
 

Herzliche Grüße an alle, wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen, ob mit oder ohne Gipfelsieg. Beiliegendes Foto stammt von heute, Ihr seht, ich lebe noch, viel hab ich zwar schon abgenommen.
 

Am 1. 8. starten wir zum Gipfel und damit zum Lager I.
 

Tagebuchaufzeichnungen vom Gipfelsieg
 

Mittwoch, 1. 8. 79: Zum Lager I - 6.100 m

Endlich schönes Wetter, wolkenlos. Wir brechen auf. Wird's gelingen? In 4 Tagen wollen wir am Gipfel stehen. Heute geht's zum Lager I, ein nun schon gewohnter Weg. In 4 Stunden schaffen wir den 10 km langen Gletscher - viel schneller als beim ersten Mal. Wir sinnieren. Unser Balti-Diener Rasar hat schlechte Nachrichten von den umliegenden Basiscamps gebracht: Japaner an der Chogolisa (7.634 m) gescheitert. Die Salzburger am Broad Peak (8.047 m) gescheitert. Nach Messner und Dächer keiner mehr am K 2 (8.611 m). 2 österreichische Expeditionen erfolglos am Nanga Parbat (8.125 m). Haben wir denn überhaupt eine Chance?
 

Donnerstag, 2. 8. 79: Zum Lager II -7.000 m

Das Wetter scheint zu halten. Tausend Höhenmeter, im wesentlichen 50° steile Eisflanken, die mit Teufelberger-Fixseilen in Fesseln gelegt wurden, sind zu bewältigen. Heute, dank superleichter Intersport Ausrüstung, nur mit 12 kg-Rucksäcken geht es relativ gut. 4 Atemstöße pro Schritt. Der Rücken in der brennenden Sonne (40° C), das Gesicht im Schatten (-20°). Die Schneekristalle reflektieren Weltraumstrahlung auf die fast schwarzen Gläser unserer Brillen. Schonen - schonen ist die Devise. Überanstrengen bedeutet Scheitern. Erholung ist über 7.000 nicht mehr möglich. Ernst, zuhause unser Konditionsstärkster, hier seit 20 Tagen ständig von Schädelbrummen, Übelkeit und Appetitlosigkeit gequält, hat heute keine Probleme. Wird er bis Samstag durchhalten?
 

7.000 m: Alfred hatte hier seine Netzhautblutung. Wird sich das wiederholen?
 

Um 2 Uhr sind wir im Lager II. Schneeschmelzen - trinken - schneeschmelzen - trinken: 5 Liter muß jeder von uns kriegen. Das Blut wird sonst zu dick, Adern können platzen. Der Körper schrumpft wie eine Dörrpflaume. Die Aussicht von unserem Eisbalkon werden wir erst zu Hause an der Kinoleinwand genießen können. Jetzt denken wir nur primitiv - überleben.
 

Morgen betreten wir Neuland. Werden die Seile von den früheren Expeditionen der Polen und Chilenen am blankgefegten Felsrücken halten? Wird das Wetter halten? Werden wir durchhalten? Noch fehlen 1.000 Höhenmeter.
 

Freitag, 3. 8. 79: Zum Lager III in die Todeszone - 7.600 m

Heute bläst der Wind 100 km/h, -280. Nur keine bloße Haut zeigen, nur keine Erfrierungen. Wir zwängen uns im engen Zeit in den Daunenanzug, die Seidengesichtsmaske, lsoliergamaschen und Fäustlinge aus Weltraummaterial. Das mit lauwarmen Tee aufgeweichte Müsli will nicht recht hinunter. Keiner spricht. Jeder weiß, was getan werden muss. Das komplette Lager III muss getragen werden. Zelt, Matten, Schlafsäcke, Geschirr, Essen für 4 Tage, Kocher, Gaskartuschen, Seil und Pickel, Steigeisen, Eisschrauben, Markierungsfähnchen ... 60 kg.
 

Einer muss als erster hinaus. Eine Sturmböe füllt das Zelt mit feinstem Schnee. Wir klammern uns an die Schistöcke. 40 Schritte für den ersten, dann kommt der nächste zum Spuren. 600 Höhenmeter, 8 Stunden, 3.000 Schritte 25x40 = 1.000 Schritte für jeden. Noch funktioniert das Hirn. Zehen bewegen, Finger bewegen, nur nichts erfrieren. Die Befehle werden kaum ausgeführt. Die Flanke steilt sich auf. Ernst: "Da ist ein Strick". Wir hängen unsere Steigklemmen ein. Ein Blick nach oben. Die Flanke nimmt kein Ende. Der Sturm fegt Schnee weg, Steine lösen sich, pfeifen an uns vorbei. Wir reagieren kaum. Ob Fels, ob Eis, die Steigeisen bleiben am Schuh. 9 Uhr - 7.300 m, 11 Uhr - 7.400 m, 13 Uhr - 7.500 m, nur noch ein kurzes Stück? - 15 Uhr 7.600 m Lager III. Der Sturm pfeift. Wir finden kein ebenes Fleckerl für unser Zelt. Wir pickeln abwechselnd, um eine halbwegs ebene Fläche zu kriegen. Alfred und ich liegen hechelnd im Schnee. Alfred keucht: "Ernst! Todeszone!! 7.600 m". Ernst arbeitet unermüdlich. Wir alle wissen: nur ein Drittel Sauerstoff. Weder Regeneration noch Verdauung funktioniert. Wir bauen nur noch ab. Reichen die Reserven?

18 Uhr - die Sonne ist weg, -35°, Sturm. Das Zelt droht aus dem Loch geblasen zu werden. Hinein mit der Ausrüstung. Der Sturm fetzt Alfred die Liegematte aus der Hand. Ein böses Omen? Eine kalte Nacht jedenfalls! Bitterkalt! Schneeschmelzen heute für morgen? Es muss heute sein. Wer holt den Schnee herein in den Gefrierschrank? Die Innenwände sind mit Raureif überzogen. Ist es draußen wärmer? Nein, doch herinnen! Wir müssen trinken. Ernst schaut nicht gut aus: blaue Lippen, Kopfschmerzen, kein Appetit. Er muss trinken. Er muss essen. Zehen bewegen, Finger bewegen. Jeder ist mit sich beschäftigt. Der Tee muss wieder raus. Das Wort "Notdurft" bekommt hier einen grausamen Sinn. Schlafen wir schon, oder noch, oder wieder?
 

Samstag, 4. 8. 79: Zum Gipfel - 8.035 m

1 Uhr: Tee wärmen, Keks einbröckeln, Steigeisen anlegen, Pickel, Skistöcke, Rucksack. 2 Stunden für wenige Handgriffe! Ernst nach schlafloser Nacht: "Ich probier's!" Alfred spurt! Wo nimmt dieser Büromensch seine Kräfte her? Knietief ist der Schnee. 1.000 m sind zu queren. Nur 200 Höhenmeter sind der Gewinn. Nach 200 m (= 2 Stunden) murmelt Ernst: "Ich dreh' um." Wie lange werden wir durchhalten? Verbissen treten wir in den Schnee. Ich bin froh, nicht spuren zu müssen. Die Scharte kommt nicht näher. Wohl aber eine Wolkenbank aus Süden. 500 m liegen hinter uns. Da taucht Ernst wieder auf. Sein Wille ist ungebrochen: "Die sind ja noch gar nicht so weit." Doch der Abstand wird langsam größer. "2 Stunden für 200 m. Ich habe Angst, nicht mehr hinunter zu kommen. Ich muss hinunter!" Alleine macht er sich auf den Weg ins Lager II. Eine zweite Nacht in der Todeszone will er nicht riskieren. Alfred und ich sind inzwischen am Ende der Querung - 10 Uhr - 7.800 m. Wir schmelzen Teewasser.

Der Kocher ist leichter als 4l Tee. 7 kg haben unsere Rucksäcke immer noch. Nur langsam schmilzt der Schnee. Nach 2 Stunden geht es weiter. Ich fühle mich besser. Meine Magenschmerzen sind weg. Wir wechseln uns nun beim Spuren ab. Jeder Schritt 6 bis 7 Atemzüge. Alle 25 Schritte ein Wechsel. Die Zeit verrinnt. Die Wolkenbank ist schon über uns. 13 Uhr - 7.900 m. Wir kämpfen nun auf der Nordseite des Berges. Alfred zuckt. Er war eingeschlafen. - Im Gehen. - Wie lange gehen wir? - Gehen wir überhaupt noch? 14.30 Uhr - 8.000 m. Die haben wir! Vor uns eine Steilflanke. Bauchtief wühlen wir uns den Hang hinauf. 10 Schritte - Wechsel. Geht's noch? Oben? Nein, noch wartet ein 100 m langer, messerscharfer Grat. 3.000 m Eiswand Richtung China, 2.000 m Richtung ...
 

15.30 Uhr - 8.035 m. Ein stummer Händedruck. Alfred: "Wir sind auf dem Dach der Welt." Dem Himmel näher als der Erde. Nur ein Gipfel ist höher: der K 2 (8611 m) stößt an die Wolkendecke. Wo bleibt das tiefe Glücksgefühl? Wir nehmen den unendlichen Rundblick nur seicht wahr! Wir frösteln. Der Abstieg steht noch bevor. Der Welser Schermbergler-Wimpel weht erstmals auf einem 8.000er.