Frontpage Slideshow | Copyright © 2006-2011 JoomlaWorks Ltd.

2010: Mönch Südwand, Berner Oberland, Schweiz

von Alexander Lechner
 

Um 01:30 stehen wir mit unseren schweren Rucksäcken am Salzburger Hauptbahnhof. Wir müssen wohl eine seltsame Erscheinung abgeben, mit unseren Gore-Tex Jacken und in den schweren Bergstiefeln. Auf jedem der vollen 40 Liter Rucksäcke sind ein Paar Steileisgeräte mit scharfen Hauen befestigt und auf meinem befindet sich zusätzlich ein dünnes 60 Meter Seil. Skeptisch werden wir betrachtet, als wir in den Zug nach Basel einsteigen. Ist auch verständlich, wie oft sieht man schon 2 Typen, die mitten im Sommer mir Steileisgeräten auf den Rucksäcken herumlaufen!
 

Wir haben Glück und können ein Abteil für uns allein ergattern. Im Dämmerschlaf vergeht die Fahrt in die Schweiz.
Wir steigen um, lassen die großen Städte hinter uns und können schließlich einen ersten Blick auf die 4000er Gipfel der Westalpen erhaschen. Wie kleine Kinder drücken wir unsere Gesichter gegen die Fensterscheiben des Zuges. Die Vorfreude darauf, morgen auf einem dieser gewaltigen Gipfel zu stehen übermannt uns und ich kann mich kaum mehr auf meinem Sitzplatz halten.

Eine Stunde später steigen wir auf der kleinen Scheidegg (so heißt die Alm oberhalb von Wengen) aus. Beim Anblick der Nordabbrüche von Eiger, Mönch und Jungfrau verschlägt es uns erneut die Sprache. Besonders die Nordwand des Eigers, die von den grünen Almwiesen aus 2000 Meter senkrecht in die Höhe schießt, hat es uns angetan. Skeptisch betrachten wir die unteren Eisfelder, die nun, imHochsommer zu einem Bruchteil Ihrer üblichen Größe zusammengeschmolzen sind. Im Winter müsste man die Wand machen, oder besser noch im Frühjahr…
 

Eine halbe Stunde später steigen wir bereits auf 3400 Meter aus der Jungfraubahn aus. Dank der Zahnradbahn und des höchsten Bahnhofes in Europa erspart man sich einen langen Zustieg. Über einen gut ausgetreten Weg gehen wir im Firn zur Hütte auf 3800 Meter. Immer wieder machen uns starke Windböen zu schaffen, die uns von den Füssen reißen wollen.
Als wir schließlich auf der Hütte eintreffen, sortieren wir noch kurz unser Material, essen etwas und fallen in einen tiefen Schlaf, aus dem wir erst zum Abendessen wieder erwachen.
 

Das schlafen im Zug war wohl doch nicht so ergiebig, wie wir dachten!
Zum Abendessen fühle ich mich gut und habe einen gewaltigen Appetit. Die negativen Auswirkungen der Höhe, die mir beim Hüttenzustieg noch etwas zu schaffen machten, spüre ich nun zum Glück nicht mehr. Nach dem Abendessen und ein paar Bierchen legen wir uns wieder schlafen. Am nächsten Tag steht aufstehen auf dem Programm! Wir haben uns um 04:00 zum Frühstück angemeldet.
 

Wir sind munter, noch bevor uns der Wecker aus dem Schlaf reißen kann und kurz nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zur Südwand unsres ersten Viertausenders. Bald sehen wir uns mit unserem ersten Problem konfrontiert: ein gewaltiger Eisbruch im unteren Wandbereich verwehrt uns den Zugang zum Herz der Südwand. Wir queren unter den Felsen, die den rechten Wandteil dominieren lange und nur leicht ansteigend zur Mitte und überwinden so den Eisbruch. Kurz über dem Eisbruch versperrt uns das nächste Hindernis den Weg: die gut einen Meter breite Spalte des Bergschrundes verlangt uns einen beherzten Spreizschritt und das Überwinden eines kurzen, senkrechtrechten Eisriegels ab.
 

Im Dämmerlicht des anbrechenden Tages erreichen wir die eigentliche Kletterei: die Wand steilt sich auf 50-55 grad auf. Harsch, der bis jetzt den Großteil der Wandbeschaffenheit ausmachte, weicht einer Blankeisschicht, die an der Oberfläche milchig weiß und von spröder Beschaffenheit ist. Nun finden die Frontalzacken unserer Steigeisen Verwendung und auch die Eisgeräte benutzen wir nun nicht mehr als Steckpickel. Bis zum Schaft versenken wir die scharfen, geschwungenen Hauen in der spröden Eismasse.
 

Statt dem gleichzeitigen Gehen am kurzen Seil, das wir bis hierhin aus Geschwindigkeitsgründen bevorzugt haben, sichern wir nun Seillänge für Seillänge. Um verlässliche Eisschrauben zum Sichern zu setzen, schlagen wir mit den Schaufeln unserer Eisgeräte das schlechte Eis von der Oberfläche weg und drehen die Schrauben in das gute, tiefer liegende Eis ein. Jauchzend steige ich eine geniale Länge im steilen Eis vor. Die Wand gehört uns alleine, wir sind die einzige Seilschaft. Immer wieder lösen sich Eisstücke aus der Wand, wenn ich meine Geräte einschlage. Die meisten sind relativ klein und ich spüre sie nicht einmal, wenn sie auf meine Gore-Tex Jacke, oder auf meinen Helm prasseln. Teilweise sprengen die Hauen der Geräte jedoch auch ganze Schollen aus dem Eis, die sich schlitternd und trudelnd in die Tiefe verabschieden.

Mittlerweile ist der Tag angebrochen und während Ralph eine Seillänge vorsteigt, betrachte ich, wie sich der Gletscher unter uns mit Leben füllt. Zahlreiche Menschen, von unserer Position aus nur mehr als kleine schwarze Striche auf der schneebedeckten Ebene zu erkennen, bewegen sich auf dem Weg von der Bergstation der Jungfraubahn zur Mönchsjochhütte.

Manchmal glaube ich zu sehen, wie sie stehen bleiben und zu uns aufblicken. Ob man uns wohl von dort unten erkennen kann? Langsam aber sicher wärmt die Sonne die Südwand gewaltig auf. Vom Wind, der uns beim Zustieg in der Nacht noch fast umgeworfen hätte, spüren wir fast nichts mehr. Wir schwitzen, doch das ist im Moment unsere geringste Sorge. Das Blankeis weicht im oberen Teil der Wand wieder einer Schneeauflage, die nun durch die Sonneneinstrahlung weich und haltlos geworden ist und unangenehm zu klettern ist. Zum krönenden Abschluss verwehrt uns die Wand nun auch noch den Ausstieg. Eine gewaltige, überhängende Wechte versperrt uns den Weg. Unter der Wechte angekommen, sind wir etwas ratlos.
 

Wo sollen wir durch? Es ist unmöglich, diese Überhänge zu überklettern. Unsere Überlegungen werden schließlich schlagartig beschleunigt, als uns zuerst kleine, dann auch größere Eisstücke und sogar ganze Eiszapfen auf die Helme prasseln. Immer wieder lösen sich, durch die Sonneneinstrahlung Eisstücke aus der Wechte. Wir wissen, dass wir so schnell wie möglich wegmüssen und queren zügig, aber ohne Hektik nach rechts aus, wo wir uns einen Durchschlupf erhoffen.

Schließlich erreichen wir eine Stelle, an der die Wechte nur mehr leicht überhängt. Da müssten wir drüber kommen oder? “Klar!” meine ich und übernehme den Vorstieg. Als ich jedoch versuche, die Wechte zu überklettern, erlebe ich eine herbe Enttäuschung. Die Beschaffenheit des Eises entspricht ungefähr der Masse, die man beim Abtauen eines Kühlschranks im Gefrierfach vorfindet und bietet weder den Hauen der Eisgeräte, noch den Steigeisen einen Halt. Mit mehr als nur einem Fluch auf den Lippen entschließe ich mich, noch weiter nach rechts zu queren, Richtung Normalweg.


Noch einmal geht es unter einer Wechte hindurch, die wohl 2 Meter in die Wand hinausragt, dann entdecken wir eine Stelle, an der wir den Normalweg erreichen können. Ralph führt und steigt auf den schmalen Firngrat aus, auf dem der Normalweg verläuft. Dabei schafft er es auch noch, eine Deutsche, die sichtlich damit überfordert ist, am Seil ihres Bergführers nachzusteigen gehörig zu erschrecken, indem er seine Eisgeräte vor ihren Füssen in den Grat hineinhackt und grinsend aus der Wand aussteigt. Schnell steige ich nach, das Seil wird aufgenommen, auf 3 Meter verkürzt wir folgen dem Firngrat zum Gipfel. Dort werden wir mit einem genialen Ausblick belohnt. Dennoch können wir nicht lange verweilen. Der starke Wind, vor dem wir in der Südwand geschützt waren, setzt uns nun wieder zu. Schnell werden noch ein paar Gipfelfotos geschossen, dann machen wir uns an den weniger anspruchsvollen Abstieg.
 

Die technischen Anforderungen am Normalweg sind relativ gering: Firn bis 35 grad und Felskletterei bis II. Schnell steigen wir tiefer und überholen dabei zahlreiche Seilschaften. Erstaunlich, was man auf der Normalroute alles beobachten kann. Manche Bergführer seilen gar ihre Gäste ab, da diese anscheinend keinen IIer abklettern können. Obwohl es bereits Mittag ist, kommen uns auch im unteren Bereich der Route immer noch Seilschaften entgegen, die sich quälend langsam bewegen. Wollen die am Gipfel biwakieren?
 

Wir erreichen schließlich ziemlich müde, aber glücklich darüber unseren ersten 4000er bestiegen zu haben, die Mönchsjochhütte. Hungrig, wie wir sind, muss erst mal ein deftiges Mittagessen und ein Bier her, danach steht ein Schläfchen am Programm. Da wir noch genügend Zeit haben, bevor unsere Bahn am Jungfraujoch abfährt, können wir beim Rückweg über den Gletscher noch mal eingehend die Südwand betrachten und ein paar Fotos schießen. Der Schweiz - Trip war zwar teuer, hat sich aber definitiv gelohnt. Eine meiner bis jetzt besten Touren!