2012 Biancogratvon Bajc Johannes
Mittlerweile hab ich mich ja schon dran gewöhnt, dass Papa und Ludwig fast jedes Jahr für ein, zwei Wochen irgendwohin in die „großen Berge" verschwanden, um später mit den grandiosen Geschichten ihrer Touren wieder zu Hause aufzutauchen. Heuer durfte auch ich mitfahren, und mit einer solchen, dieser Geschichte nach Hause kommen. Ein Zeitraum zum Wegfahren war schnell vereinbart, nur die Wahl unseres Zieles war, ob des nicht ganz sicheren Wetters, etwas fraglich. Ideen wurden aufgeklaubt und wieder verworfen, bis endlich feststand, dass es der berühmte Biancograt auf den Piz Bernina werden sollte. Wir packten also unser Zeug, setzten uns ins Auto und bretterten runter in die Schweiz, nach Pontresina, dem Ausgangsort unserer Tour. Dort begann der Aufstieg zur Tschierva Hütte. Die weißen Gipfel und Gletscher der Bernina-Alpen bildeten dazu die kitschige Milchschokoladenwerbungskulisse. Nach dem dreistündigen Zustieg zur Hütte und dem Abendessen auf selbiger erkundeten wir noch ein kleines Stück des morgigen Aufstiegs, dann hieß es ab in die Federn. Wecker läutet um drei, Runterwürgen des trockenen Frühstücks, Fertigmachen zum Aufbruch. Alles läuft zu dieser frühen Stunde noch wie auf Autopilot. Dann raus in die frische Morgenluft. Vor und hinter uns die winzigen Lichtpunkte der Stirnlampen von anderen Seilschaften. Wir schlugen zuerst den Weg ein, den wir am Vorabend ausgekundschaftet haben, entschieden uns etwas später aber um und folgten den Lichtkegeln der Gruppen, die eine andere Variante, weiter oberhalb des Gletschers, gewählt hatten. Wenig später muss Ludwig leider umkehren. Er hat in der Dunkelheit starke Probleme mit seiner Gleitsichtbrille. Schade. Von unseren Überlegungen mit ihm abzusteigen will er nichts hören, und drängt uns zum Weiterweg. So folgten Papa und ich nun allein den mit Steinmännern markierten Weg, der uns schnurstracks in übelstes Gelände führte. In einem steilen Hang mit Blöcken über einer groben, lockeren Schotterauflage musste ich an die Bergsteigerlegende Karl Lukan denken, der vielleicht genau an dieser Stelle seine Meinung, die Hölle sei eine in Dunkelheit gehüllte Gletschermoräne, bestätigt fand. Bald wurde das Gelände wieder besser, und nach einem kurzen Schneefeld und einer mit Klammern versicherten Felspassage erreichten wir kurz nach Sonnenaufgang die Fuorcla Prevliousa. Die Scharte, in der der Grat und damit die eigentliche Kletterei beginnt. Wir seilten uns an und kamen über den rauen, gut griffigen Granit rasch vorwärts. Die Kletterei war genussreich und überschritt nie den dritten Grat, und so standen wir bald vor dem Herzstück unserer Tour: die endlos lange, scheinbar ins Nichts führende Firnschneide. Stairway to Heaven. Der Vergleich, obwohl schon abgedroschen, drängt sich einfach auf. Steigeisen anschnallen und los geht's. Der Aufstieg gestaltete sich schön, allerdings auf eine andere Art als die anregende Kletterei im Felsteil zuvor. Monotoner und anstrengender, dafür aber herrlich ausgesetzt ging es nun, bei guten aber nicht perfekten Verhältnissen, dahin. Schritt, Schritt, Pickel setzen. Das mal 100000. Gerade halt Platz für die Füße, links und rechts nur Luft. Auf diese Art gelangt man also zum Piz Bianco, dem höchsten Punkt des Firngrats. Ein Rettungshubschrauber vollführte ein spektakuläres Flugmanöver während unseres kurzen Gipfelaufenthalts. Kurz darauf drehte er ab und wir begannen, nun wieder im Fels, den Weiterweg auf den Piz Bernina. Wir seilten in eine Scharte ab, wo wir eine elendig langsame, tschechische Seilschaft überholten und überkletterten über eine vereiste Rinne einen Felsturm, den Piz Spalla. Hier gingen wir an einer zweiten Gruppe, diesmal Niederösterreicher, vorbei. Bald darauf standen wir auf den Gipfel des Piz Bernina, dem höchsten Berg und einzigen 4000er der Ostalpen und begannen nach einer kurzen Pause den anspruchsvollen Abstieg über den teilweise stark ausgeaperten Spallagrat. Das wechselnde Gelände, mal Schnee, mal Fels, verlangte Vorsicht und häufiges An- und Abschnallen der Steigeisen. Einige hundert Höhenmeter mussten noch vernichtet werden, bis wir schließlich unseren nächsten Zwischenstopp, die Marco e Rosa Hütte erreichten. Wir ergatterten noch einen Platz im stickigen Notlager der überfüllten Hütte und setzten tags darauf den Abstieg fort. Die niederösterreichische Seilschaft, die wir gestern überholt hatten und bereits von der Tschierva Hütte kannten, ging mit uns am Seil. Zuerst ging's über die wunderschöne Gletscherwelt der Bellavista – Terrasse, dann über den teils brüchigen Fels des Fortezzagrates. Wolken und Nebel zogen ein. Nicht ungefährlich, da wir uns nun wieder auf einem Gletscher befanden und uns über den Weiterweg ziemlich unklar waren. Papa bewies hier wiedermal seine ausgezeichnete Nase und führte uns zielgenau an den Punkt, an dem die Wege zur Diavolezza- bzw. zur Boval- Hütte begannen. Letzteren schlugen wir ein, trennten uns dann aber kurz darauf von unseren Begleitern, um direkt über den Morteratschgletscher abzusteigen. Ein elendslanger Hatscher brachte uns schließlich zu einem stark frequentierten Wanderweg. Über diesen gelangten wir, mit unserer gestrigen Tour als spektakulären Panoramahintergrund, zur kleinen Ortschaft Morteratsch, wo Ludwig bereits auf uns wartete.
Als Nächstes hatten wir die Königspitze im Ortler-Gebiet vor. Doch bereits beim Zustieg zur Casati Hütte, dem Ausgangspunkt für diese Tour, wurde uns klar, dass die Verhältnisse dafür alles andere als ideal waren. Der Weg hinüber zum Berg war ein einziger Bruchhaufen, und der Normalweg, der über ein steiles Schneefeld verlief, war zu einem großen Teil blank. Auch der Hüttenwirt der Casati- Hütte riet uns ab, also begnügten wir uns mit der unschwierigen Gletscherroute auf den Cevedale, einem schönen und gut besuchten Aussichtsberg. Wir nahmen noch die benachbarte Zufallspitze mit und stiegen ab. Bei Kaffee und Apfelstrudel im Tal überlegten wir noch welche Tour wir bei der Heimfahrt, quasi im Vorbeifahren, machen könnten. Diese Überlegungen gestalteten sich mangels jeglicher Führerliteratur etwas schwierig, wir einigten uns aber schließlich auf den bekannten Kopftörlgrat im Wilden Kaiser. Bei unserer Begehung konnten ein paar wenige tollen Kletterstellen leider nicht den schlechten Eindruck wettmachen, den wir, bedingt durch brüchiges, ungutes Gelände, abgeschmierten Fels, und den Steinschlag der bartwischhaxerten Seilschaften vor uns, von diesem Klassiker hatten. Nichtsdestotrotz war es der schöne Abschluss einer großartigen Bergwoche mit grandiosen Eindrücken. Es war sehr nett. Es hat uns sehr gefreut.
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