Fahrt ins Blaue (7+)

von Florian Seebauer

Kühl ist es am Morgen des 23.September 2006, als Sepp Zehetner das Auto am Parkplatz des Kölblwirts in Johnsbach, mitten im Nationalpark Gesäuse parkt. Wir sind früh gestartet in Wels, um den strahlenden Herbsttag auszunützen. Für diesen Tag haben wir die Route „Fahrt ins Blaue’“ geplant, eine erst wenige Jahre alte Klettertour in der SW-Wand des Festkogels. 300 m Wandhöhe im fast ausschließlich 5. und 6. Schwierigkeitsgrad mit einer noch schwierigeren Seillänge (7+) erwarten uns. Nach einem sehr erfolgreichen Klettersommer soll das die letzte „grosse“ Tour werden – ein würdiger Abschluss vor der Winterpause.
 

Der Zustieg zur Wand verläuft zu Beginn noch mäßig steil über einen Wanderweg, doch wird er bald schweißtreibend, als uns die Sonne trifft. Noch wartet ein steiles Schotterfeld auf uns, bis wir den Vorbau erreichen. Die ersten Seilschaften klettern dort schon in den rauen Platten. Kurz überlegen wir noch, ob auch wir die Felswand des Vorbaus direkt klettern wollen. Wir entscheiden uns jedoch, über eine seitliche Schlucht den Vorbau zu umgehen – damit können wir die Chance nutzen, die meisten anderen Seilschaften hinter – statt vor uns – zu lassen. Ein Vorteil, über den wir im Laufe dieses Tages noch sehr froh sein werden!
 

Die Umgehung des Vorbaus und der weitere Zustieg zum Wandfuß sind zwar nicht schwierig, aber doch heikel – ein loser Griff oder falscher Tritt kann reichen, um ins Unglück zu stürzen. Vor uns liegen 8 Seillängen in besten Fels: Die „Fahrt ins Blaue“ ist eine gut abgesicherte Klettertour, die sich immer den schönsten Weg durch Plattenzonen sucht.


Etliche Seilschaften sind auf ihrem Weg zur Wand auszumachen, wir sind bei den ersten, die in die Wand einsteigen. In flüssiger Abfolge klettern wir die ersten Seillängen, bis wir am Stand unterhalb der Schlüsselstelle ankommen. Glatt wie eine Mauer, nur mit seichten Dellen als Griffen und Tritten – das muss die 7+-Stelle sein! Ob wir sie wohl frei bewältigen können?
 

Vorbildlich abgesichert, kann hier auch ein Sturz riskiert werden. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf klettert Sepp voran: Ein erster Versuch – Sturz! Ein zweiter Versuch – wieder Sturz! Und beim dritten Mal klappt es: Schwer atmend, mit zusammengebissenen Zähnen und verkrampften Finger schafft er das unmöglich Erscheinende.
 

„Wenn Sepp das kann, werde ich das auch schaffen!“ Der Ehrgeiz stachelt mich an, es ihm gleichzutun. Die wenigen leichteren Züge bis zur Schlüsselstelle sind schnell geklettert, dann wird es ernst: Von unten hatte die Schlüsselstelle schon schwer ausgesehen, aus der Nähe präsentiert sie sich noch glatter. Auch ich schaffe es nicht ohne Sturz, aber nach wenigen Versuchen ergibt sich die Lösung. Am Limit meiner Kletterfähigkeiten steige ich zentimeterweise hoch, um den rettenden Griff zu erreichen – und um meinen Kletterpartner am Standplatz zu gratulieren!
 

Fünf weitere Seillängen folgen noch. Eine schöne als die andere, steile Plattenkletterei, die volle Konzentration erfordert, aber gut abgesichert bzw. gut selbst absicherbar. So soll alpine Sportkletterei sein!
 

Aufgrund der zahlreichen anderen Seilschaften hören wir immer Steinschlag und sind froh darüber, davon nicht bedroht zu werden. Vom Ausstieg der Tour sind es noch ca. 15 min leichtes Klettergelände bis zum Gipfel. Wir jausnen am Gipfelkreuz und spüren den kalten Lufthauch, der aus der Festkogel Nordwand steigt. Heute dort zu klettern, hätte uns im besten Fall kalte Finger beschert…

Der Abstieg erfolgt über riesige Karstfelder nach Osten, nur wenige rote Farbpunkte weisen den Weg. Ein großer Teil der Wegfindung bleibt dem Bergsteiger selbst überlassen. Immer wieder müssen wir über Schotterrinnen oder Platten mit Wasserrinnen abklettern – nicht schwierig, aber dennoch mit voller Konzentration.
 

Wir stoßen auf den Wanderweg, der uns zurück zum Kölblwirt bringt. Dort feiern wir die letzte alpine Tour des Sommers: “Fahrt ins Blaue, 7+, S.Zehetner & F. Seebauer, D’Schermbergler, Wels“!