Klettergenuss im Schweizer Granit, August 2007

von Walter Bajc

Gemeinsam mit meinem Kollegen Ludwig sitze ich seit Tagen auf der Bergseehütte in den Urner Alpen und kann nichts weiter tun als die Zeit tot zu schlagen. Wer weiß, wie „günstig“ das Leben auf Schweizer Hütten ist, kann nachvollziehen wie wir uns dabei fühlen.


Draußen klatschen schwere Regentropfen gegen die Fenster, die Temperatur ist auf 6°C gesunken und in der Ferne hört man noch das Grollen des Gewitters, das eben über uns hinweggezogen ist. Die geplanten Eingetouren sind längst buchstäblich ins Wasser gefallen, doch für den nächsten Tag ist besseres Wetter angesagt. Vielleicht ist doch noch eine kurze Tour zum Eingewöhnen an dem für uns ungewohnten Granit möglich.
 

Der Schweizer Wetterbericht hat tatsächlich recht (wie könnte es auch anders sein), blitzblauer, wolkenloser Himmel am nächsten Tag. Der Bergseeschijen Südgrat (IV+) ist unser Ziel. Jetzt heißt es schnell sein, bevor die zahlreichen anderen Kletterer vor uns am Einstieg sind. Wir steigen zwar als erste in die Route ein, haben aber dafür den Nachteil dass es noch nicht ganz aufgetrocknet hat. Doch der Fels ist griffig und rau, so das der gefürchtete Schmierseifeneffekt von nassem Granit nicht zum Tragen kommt. Bereits knappe drei Stunden später sind wir am Gipfel und

genießen die warme Sonne. All zulange können wir es uns aber nicht gemütlich machen. Noch stehen uns 1600 Höhenmeter Abstieg zur Hütte und weiter hinunter ins Tal und danach 800 Höhenmeter hinauf zur Salbithütte bevor, die wir schließlich am Abend erreichen.
 

Salbitschijen.
Was für ein Name, was für ein Berg. Fast seid Anbeginn meiner alpinen Laufbahn ist mir dieser Gipfel immer wieder untergekommen. Zuallererst gab es da ein Bild eines Kletterers an der unwahrscheinlich steilen und glatten Gipfelnadel. Einmal so wie dieser dort hochzupiazen und auf der Spitze zu stehen, müsste schon ein wahres Glücksgefühl hervorrufen. Danach kamen die Überlegungen, über welchen Weg man bis dorthin gelangen könnte. Vor dem geistigen Auge kamen im Prinzip nur zwei Anstiege in Frage. Der Westgrat (sauschwer – VI und saulang – 12 bis 16 Stunden, entschuldigt bitte meine Ausdrucksweise) und der Südgrat (deutlich leichter – V und daher entsprechend oft begangen – Platzkarten sind in der Salbithütte zu lösen!).


Aber Gott sei Dank gibt es ja auch noch andere Routen. Weniger berühmt, damit weit weniger begangen aber nahezu gleich schön und schwer wie der Südgrat ist dessen „kleiner Bruder“, der Ostgrat.

Gemütlich, ohne jeden „Zustiegsstress“, steigen wir an diesem Tag die eine Stunde zum Einstieg hinauf. Lediglich in einer Nachbartour, dem Parallelem Ostgrat (den wir am nächsten Tag gehen werden), richten sich zwei Seilschaften zum Klettern her. Am Ostgrat werden wir den ganzen Tag alleine sein, während drüben am Südgrat bereits das Gerangel um die besten Plätze voll im Gange ist.


Die ersten beiden Seillängen im 3. und unterem 4. Schwierigkeitsgrad eignen sich hervorragend zum Warmkletten. Danach geht’s aber bereits ganz gehörig zur Sache. Mit V- A0 bewertet, zieht ein enger Riss durch eine glatte Platte, ich vertrau auf die Reibung meiner Schuhe und Hände und klettere die Stelle frei (VI). Danach wird’s wieder etwas leichter und in abwechslungsreicher Kletterei geht’s über mehrere Grattürme.
 

Beim Nachsichern sehe ich die beiden Seilschaften am parallelem Ostgrat auf einem Absatz sitzen und erwartungsvoll zu uns herüberschauen. Wenig später weiß ich warum. Eine luftige Abseilfahrt steht uns bevor. Nun, das Publikum soll erhalten, was es erwartet und so seile ich direkt von oben, mehrere Meter frei hängend, in die Scharte hinunter. Dem Gejohle nach, von der anderen Seite herüber, muss das ziemlich spektakulär ausgesehen haben.
 

Wenig später erwartet uns die Schlüssellänge an der „Bastion“. Neue Bohrhaken weisen den Weg über die fast grifflose Platte und die folgende Gratkante. Das Schwierigste ist ab hier geschafft, aber die Route ist bei weitem noch nicht zu Ende. Weiterhin reit sich eine Seillänge an die nächste, nur von einer weiteren kurzen Abseilfahrt unterbrochen, folgt eine schöne Kletterstelle auf die andere. Nach 16 ausgewachsenen Seillängen und fünf Stunden Kletterzeit stehen wir am Ausstieg des Ostgrates.

Hier offenbart sich leider der einzige Schönheitsfehler dieser Route. Während die anderen beiden Grate in der Nähe des höchsten Punktes münden, müssen wir vom Ausstieg weg noch eine viertel Stunde zum Gipfel hin aufsteigen.
 

Die Gipfelnadel ist zwar nur ca. 15 m hoch, dafür aber mauerglatt, ohne Riss. Nach ein paar Metern steckt an der einzigen Möglichkeit ein alter, verrosteter Hacken als letzte Zwischensicherung, dann geht’s mehrere Meter frei hinauf. Durch die zahlreichen Begehungen ist an dieser Stelle sogar der sonst sehr raue Granit glattpoliert. Die Schwierigkeit liegt zwar nur im 4. Grad aber die Stelle ist moralisch anspruchvoll. Im Falle eines Falles (was für ein Wortspiel) hat man die Wahl entweder in die glatte Südwand abzufliegen oder auf der Nordseite auf einem Schotterband aufzuschlagen.
 

Insgeheim denke ich mir, das da durchaus ein Bohrhaken angebracht wäre, aber da ich den nicht herbei zaubern kann, fasse ich mir ein Herz und mit den Händen fest an die Kante und steige so hinauf. Oben schaut die Welt schon wieder ganz anders aus. Während ich auf der winzigen Gipfelfläche stehe haben sich auch meine Gedanken verändert. „Ein Bohrhaken würde diese Kletterstelle „entwürdigen“ die Erstbegeher haben in auch nicht benötigt“. So schnell ändern sich eben die Ansichten.

Wer oben ist, muss auch wieder runter und das geht zuerst nur mit einer luftigen Abseilfahrt und dann mit einem zweistündigem Fußmarsch zur Hütte.
 

Das Bierchen in der Abendsonne auf der Hüttenbank haben wir uns wohl redlich verdient!